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02.06.2022 „Heimat Grundgesetz. Heimat Europa“ - Unser Veranstaltungsbericht
Dauerbaustelle Demokratie
- Heribert Prantl zu Besuch bei der Bürgerstiftung -
Zuerst besuchte Prantl am 23. Mai das Büchelgelände. Dort wird die Bürgerstiftung die 18 Buchstaben des Begriffs „platz für demokratie“ in 60 cm hohen Betonbuchstaben, in weitem Bogen angeordnet, aufstellen. In seiner kurzen Ansprache griff Prantl am Bauzaun den Baustellencharakter auf und prägte den Begriff „Dauerbaustelle Demokratie“. Wir alle sind aufgefordert, an der Weiterentwicklung mitzuarbeiten.
„Heimat Grundgesetz. Heimat Europa“
So hat Prof. Dr. Heribert Prantl seinen Vortrag am 23. Mai 2022 im Aachener Einhard-Gymnasium überschrieben.
Der Vortrag des Kolumnisten der Süddeutschen Zeitung und vielfachen Buchautors fand im Rahmen des Projekts „Platz für Demokratie“ der Bürgerstiftung Lebensraum Aachen am 73. Jahrestag des Inkrafttretens des Grundgesetzes statt.
„Äußere und innere Gefahren für unsere Demokratie – Was können wir tun?“ – So lautete der Untertitel seiner einstündigen sehr lebendig vorgetragenen Ausführungen in der Einhard-Aula, denen leider nur etwa 70 Personen folgten.
Oberbürgermeisterin Sibylle Keupen betonte die Bedeutung des Dialogs mit Bürgerinnen und Bürgern als wesentliches Element einer lebendigen Demokratie.
„Ich wünsche mir Grundrechte, die in der Zeitenwende nicht bettelnd am Wegesrand stehen müssen.“ So begann Prantl seinen Vortrag. Die Grundrechte müssten verlässliche Begleiter der Menschen sein. Die ganz jungen, die Kinder, und die ganz alten Menschen sind, so Prantl, Gradmesser unserer Demokratiequalität. Über Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg wölbt sich die Klimakrise. Hoffnung ist das, was wir brauchen, als Mittel gegen das „katastrophische Denken. Und: „Wir brauchen Menschen, die Frieden stiften“ und die Gesellschaft wieder zusammenführen.
Neben der Hoffnung beschäftigte sich Prantl mit der Aufgabe des Journalismus, die Wahrheit aufzudecken. Eines der wichtigsten Grundrechte, sagte er, ist die Pressefreiheit, die in Ungarn, Polen und der Türkei mit Füßen getreten werde. Auch in Deutschland sei es der Presse nicht so gut gelungen, ihre Aufgabe zu erfüllen, unverhältnismäßige Grundrechtseingriffe anzuprangern.
Prantl thematisierte auch die schlechte Kommunikation der Menschen unterschiedlicher Meinungen. Man müsse sich immer wieder klarmachen, dass auch der andere möglicherweise Recht haben könne.
Das Grundgesetz sei keine pazifistische, sehr wohl aber eine friedliebende Verfassung. Aber:
„Das Prinzip Frieden muss noch umfassend entfaltet werden.“
„Ernstfall Frieden“
In Bezug auf den Ukraine-Krieg stellte Prantl einen „beängstigenden bellizistischen Diskurs in Teilen der Meinungseliten“ fest. Es sei nicht ganz leicht zu entscheiden, wo Frieden aufhört und Krieg beginnt. Prantl zitierte Gustav Heinemann, der 1969 vom „Ernstfall Frieden“ gesprochen hat.
Er schwärmte von einer Allee mit Statuen der Väter und Mütter des Grundgesetzes. U.a. nannte er Elisabeth Selbert, der es gelungen ist, die Gleichberechtigung der Frau ins Grundgesetz zu schreiben, und Carlo Schmidt, der heute begeistert wäre von „Pulse of Europe“ und „Fridays for future“. Die Schlafmütze vom Kopf ziehen und selbst tätig werden, das hat Carlo Schmidt gefordert. Die vom Volke ausgehende Staatsgewalt wird in Wahlen und Abstimmungen ausgeübt – „in Abstimmungen“ würde Carlo Schmidt dick unterstreichen, war sich Prantl sicher.
Demokratie ist viel mehr als alle paar Jahre bei Wahlen abzustimmen. „Zukunft! Miteinander! Gestalten! Das ist Demokratie!“, rief Prantl den Zuhörern zu. Die Frage, wie wir als Gesellschaft miteinander leben wollen, beantwortete er mit der Forderung nach gleicher Augenhöhe bei allen Unterschieden. Inklusion sei ein gesellschaftliches Prinzip und bedeute Anerkennung der Vielfalt.
Trotz aller notwendigen Kritik im Einzelnen ist die EU „das Beste, was Europa in seiner langen Geschichte passiert ist“.
„Das Europäische Parlament ist weltweit die einzige direkt gewählte supranationale Organisation.“ Dieses „Weltwunder der Moderne“ müsse aber sorgsam gepflegt werden.
Putins Krieg könne möglicherweise Churchills Vision der „Vereinigten Staaten von Europa“ beflügeln.
„Putin stellt eine Friedensordnung in Frage, die zu wenig gefestigt und zu wenig gesichert ist“, stellte Prantl bedauernd fest. „Europa ist ein anderes Wort für Zukunft.“
Die EU leide an zu wenig Demokratie, sie sei zu wenig sozial, und sie leide daran, dass sie zu sachlich, zu nüchtern sei. „Man kann Europa nicht singen.“ Und Prantl zitierte Jacques Delors: Man kann sich in einen Binnenmarkt nicht verlieben.“
Die wunderbare Formel „Ganz Europa ist Inland“ habe leider während der Flüchtlings- und der Pandemiekrise ihre Grenzen gefunden, als Nationalismen wieder stärker wurden. „Ein solch zerstückeltes Europa muss ein Putin nicht fürchten“, rief Prantl aus.
Prantl erzählte von eigenen Jugenderinnerungen an deutsch-französischen Austausch. „Die Begeisterung und die Leidenschaft, die wir damals im Kleinen hatten, wünsche ich mir heute im Großen. Europa braucht Begeisterung, Europa braucht Leidenschaft.“
Abschließend resümierte Heribert Prantl:
„Das Grundgesetz ist uns Heimat. Europa und eine Europäische Verfassung muss uns Heimat werden. Wir lieben die Grundrechte, wir lieben das respektvolle Zusammenleben der Menschen aller Religionen und Kulturen, wir lieben die Freiheitsrechte, wir lieben die Pressefreiheit, wir lieben Europa. ‚Glücklich ist, wer das, was er liebt, auch wagt, mit Mut zu beschützen.‘“
Leiter des Projekts "Platz für Demokratie"
Norbert Greuel