News
07.12.2020 Gedanken zu Corona, Medien, Trump und Wirklichkeit
In diesen merkwürdigen Zeiten, in denen wir uns mit der Corona-Pandemie, Trumpschem Kommunikationsstil und Verschwörungsideologen auseinandersetzen müssen, gilt es, Wegmarken zu markieren, die uns helfen können, die Orientierung zu behalten oder wiederzugewinnen. Dabei müssen zunächst die wesentlichen Fragen entwickelt werden; wie wir zu Antworten gelangen können, wird dann eine zweite Frage sein. Wir wollen die Entwicklung der Medien, den Umgang mit der Wirklichkeit und Aspekte der Kommunikation beleuchten.
- Medien haben früher vermittelt. Sie standen in der Mitte zwischen Ereignissen und den Menschen. Über ein Erdbeben in Indonesien haben wir erfahren, weil es Medien gab, die diese Vermittlungsrolle eingenommen und darüber berichtet haben. Diese Medien, Nachrichtenagenturen, Zeitungen, TV-Sender u.a., haben, je nach Anspruch unterschiedlich, streng unterschieden zwischen Nachricht und Meinung. Kommentare wurden als solche deutlich gemacht. Das ist zum Glück bei seriösen Medien auch heute noch der Fall.
- Qualitätsjournalismus kann dabei folgenden Kriterien folgen: „Relevant sind hier eine
- Informationsfunktion – Was geschieht? –,
- eine Orientierungsfunktion – Was ist wichtig? –,
- eine (nur noch schwach ausgeprägte) Integrationsfunktion – Was verbindet uns? – sowie
- eine Kritik- und Kontrollfunktion – Was läuft falsch?
- Dabei dient die öffentliche Legitimation von Journalismus, das Publikum zur kompetenten Teilhabe an demokratischen Entscheidungsprozessen zu befähigen, implizit als Grundlage.“ Quelle: Roger Blum, Leidende Leuchttürme. Über die Unentbehrlichkeit von Qualitätsmedien, in: ders. et al. (Hrsg.), Krise der Leuchttürme öffentlicher Kommunikation. Vergangenheit und Zukunft der Qualitätsmedien, Wiesbaden 2011, S. 7–14.
- In unseren Zeiten haben die sogenannten sozialen Medien, die oft genug antisozial agieren und solches Verhalten erlauben, dafür gesorgt, dass jeder einzelne Mensch, der im Besitz eines Smartphones ist, die Rolle einnimmt, die früher von Medien eingenommen wurde. Jeder kann über alles berichten, das ihm berichtenswert erscheint, eine Vorauswahl findet nicht statt. Diese Entwicklung kann man demokratisch nennen, wir können aber täglich sehen, dass weder Kriterien für wie auch immer zu definierende Relevanz existieren noch eine Unterscheidung zwischen Nachricht und Meinung gemacht wird.
- Der technische Fortschritt, der dies ermöglicht, hat zur Folge, dass immer öfter jede Nachricht, jede Meinung als gleichwertig zu allen anderen betrachtet wird. In Coronazeiten erleben wir, dass anekdotische Erfahrungsberichte neben wissenschaftsbasierte Äußerungen gestellt werden. Trump kann ungehemmt Lügen verbreiten, und jeder kann leicht wissen, dass es Lügen sind. Mit Verweis auf die Meinungsfreiheit wird dann postuliert, jede Äußerung müsse die gleiche Berechtigung haben, denn alles seien Meinungen. Fakten existieren in diesem Weltbild nicht mehr, alles wird als Meinung betrachtet, ein Unterschied zwischen Nachricht und Kommentar wird nicht mehr gemacht, Wissenschaft spielt keine Rolle mehr, zumal es für mit wissenschaftlichem Arbeiten nicht vertraute Menschen irritierend sein kann, dass verschiedene Wissenschaftler verschiedene Meinungen, d.h. unterschiedliche Interpretationen der gleichen mit wissenschaftlichen Methoden erhobenen Sachverhalte äußern.
- Folge ist das Ende aller Gewissheiten. Wenn alles gleichermaßen gültig ist, wird alles gleich-gültig.
- Wie können wir damit umgehen? Zum seriösen Umgang mit solchen Kommunikationsweisen gehört es,
- aus der eigenen Gruppe, in der (fast) alle einer Meinung sind, herauszutreten und den Dialog mit Angehörigen anderer Gruppen zu suchen
- zwischen Person und Meinung zu unterscheiden und der Person immer mit Respekt zu begegnen, in der Sache sind Auseinandersetzung und Streit selbstverständlich möglich und sinnvoll,
- sich der Quellen seiner eigenen Überzeugungen zu versichern und das Gegenüber nach seinen Quellen zu befragen.
Zum seriösen Umgang mit Corona und Verschwörungsideologen gehört es, das Verhältnis zu den Regierenden zu bestimmen. Wir haben ein „skeptisches Vertrauen“ zu den handelnden Personen in der Exekutive, die momentan die mediale Szene beherrschen und Maßnahmen zum Umgang mit der Krise beschließen müssen. Wir können niemanden erkennen, der die Demokratie abschaffen will. Aber sind unsere Strukturen so gut, so gefestigt, dass die Demokratie auch dann nicht gefährdet wäre, sollte irgendwann ein Mensch vom Schlage eines Björn Höcke Bundeskanzler werden? In Ungarn und Polen können wir besichtigen, wie schnell Grundpfeiler der Demokratie geschliffen werden können. Wachsamkeit ist und bleibt angebracht, denn wir erleben zurzeit die größten Einschränkungen der Grundrechte seit Gründung der Bundesrepublik.
Politik muss aus unserer Sicht deutlich mehr als bisher aus dem Zusammenwirken von Vertretern der repräsentativen Demokratie, also den gewählten Volksvertretern, und denen der Zivilgesellschaft entstehen.
Lasst uns als Bürger aktiver werden.
Vielleicht leben wir dann „in die Antworten hinein“, wie Rilke es formuliert hat.
November 2020
Norbert Greuel
für den Vorstand der
Bürgerstiftung Lebensraum Aachen